Die
Winternacht ist bitterkalt. Ein eisiger Nordwestwind treibt schwarze Schatten
über die mondbeschienenen Heideflächen der verschneiten Eifelhöhen. Immer
wieder verharren sie, um Witterung aufzunehmen. Und dann erschallt aus der
Finsternis ein unheimlicher Ruf. Erst kommt eine Antwort, dann ganz viele. Das
schaurige Geheul dringt durch die zugigen Fenster in die spärlich beleuchteten
Stuben der abgelegenen Bergdörfern. Die Angst kehrt ein, den jeder weiß, das
Unheil droht. Die Wölfe sind da!
Erst sind es nur zwei, dann
plötzlich ein Dutzend, oben auf dem schneebedeckten Bergkamm. Und aus dem
Talkessel steigt der unwiderstehliche Geruch von Beute in die weit geöffneten
Nasenöffnungen der Räuber. Die Schatten formieren sich und wie auf ein geheimes
Kommando huschen sie bergab, immer dem betörenden Duft nach. Das Wolfsrudel ist
so ausgehungert, dass es den ebenfalls immer stärker werdenden Menschengeruch
völlig ignoriert, den zu fürchten es von klein auf gelernt hat. Die Meute hat
den Rand des Dorfes erreicht. Zwei Tiere springen auf das Strohdach eines
Stallanbaus, in dem sie eine Ziege gewittert haben. Unter dem Gewicht der
großen Tiere gibt die morsche Stallwand krachend nach. Der Rest des Rudels
dringt in den dunklen Raum ein. Ein gefährlich anmutendes Knurren, ein kurzer
Aufschrei der Kreatur im Todeskampf und Sekunden später herrscht wieder
Totenstille. So lautlos, wie die Wölfe aus der Dunkelheit gekommen sind,
verschluckt die Nacht sie samt ihrer Beute wieder....
Es gibt zahlreiche alte
Urkunden und Erzählungen, die von diesen oder ähnlichen Vorkommnissen in der
Eifelregion berichten.
Die ohnehin bettelarme
Landbevölkerung erhielt keinerlei Entschädigungen von der Obrigkeit, obwohl
ihre Existenz durch die Wolfsplagen in hohem Maße gefährdet war.
Die Milch
der Ziegen war in den harten Wintermonaten oft das einzige frische Lebensmittel
und diente den von Hunger und Armut ausgezehrten Mütter als Stillersatz für die
Kleinsten.
Die armseligen, mit Stroh gedeckten Behausungen der einfachen Bauern
boten kaum Schutz gegen ausgehungerte, erwachsene Wölfe.
Bauerngehöft in Oberdürenbach
(Repro)
Wir schreiben das Jahr 1814. Nachdem in der
Neujahrsnacht preußische und russische Truppen den Rhein bei Kaub überquert
hatten, war das Ende der französischen Epoche im Rheinland besiegelt. Koblenz
und wenig später auch Andernach, Mayen und Sinzig wurden von russischen Truppen
eingenommen und besetzt. Diese, der Schlesischen Armee zugehörigen Einheiten, sahen
in unserer Heimat französisches, also feindliches Territorium. Sie verstanden
weder die Sprache noch die durch den Katholizismus geprägte Kultur des Landes. Um
die Truppen in ihren Quartieren zu ernähren, zogen bewaffnete Fouragiertrupps
durch die gesamte Vordereifel und requirierten sämtliches Vieh, die Vorräte der
Bauern und vor allem die Branntweinvorräte. Ganze Schafherden wanderten damals
in die Fleischkessel der neuen Besatzer. In den Annalen der Geschichte tauchen
diese Heimsuchungen nicht auf. Auch die abscheulichen Gräueltaten der
Soldateska an der Zivilbevölkerung, insbesondere an den Frauen und Mädchen sind
nirgends vermerkt. Lediglich die zahlreichen Basaltkreuze in der Vordereifel sind
heute stumme Zeugen dieser furchtbaren Zeiten.
Während der „Franzosenzeit“ konnten sich die Wölfe
in der Vordereifel zunächst prächtig vermehren. Auf den Schachtfeldern fanden
sie reichlich Nahrung in Form von menschlichen und tierischen Kadavern. Die
Privatisierung des Rechts der Jagdausübung und die fortschreitende Verheidung des
Landes erlaubten ihnen ferner ungehindert die Jagd auf die bis dahin üppigen
Wildbestände. Das sollte sich mit dem einkehrenden Frieden nach der
verheerenden Niederlage Napoléons bei Waterloo für sie ändern. Die Wölfe
kämpften plötzlich um ihr Überleben.
Die
ungünstigen klimatischen Verhältnisse im 18. und 19. Jahrhundert sowie die
napoleonischen Kriege verstärkten die Zuwanderung der Wölfe aus ihrer Heimat in
den Ardennenwäldern bis in die Vordereifel. Dort entwickelten sich die
Wolfsrudel insbesondere in den kälte- und schneereichen Wintern in der 1.
Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer regelrechten „Wolfsplage“. Die
völlig ausgehungerten Tiere verließen nachts den Schutz der Wälder und machten
auch an den Dorfrändern nicht halt. Es wird berichtet, dass selbst in den
Ställen das Vieh, insbesondere Ziegen und Schafe, aber auch Rinder gerissen
wurden. Wen
nimmt es Wunder, dass die arme Landbevölkerung gerne dem Aufruf zur gnadenlosen
Wolfsjagd der preußischen Obrigkeit folgte, um mit allen zur Verfügung
stehenden Mitteln, Gewehren, Mist- und Heugabeln oder Sensen, der verhassten
Bestie den Garaus zu machen....
Wolfsjagd im 17. Jahrhundert, zeitgenössischer Stich, anonym
Die grauen Räuber hatten gegen diese Hetzjagden keine Chance. 1888 wurde letzte
Eifelwolf bei Auel nahe Gerolstein erlegt.
Quellen:
Jürgen
Johann: Die letzten Wölfe unserer Heimat
Heimatjahrbuch des Kreises Ahrweiler 2004
diverse Beiträge im
Heimatjahrbucharchiv
des Landkreises Vulkaneifel
Der
Wolf
gilt
von jeher
als teuflisches Wesen, als Inbegriff tödlicher Feindschaft und erbarmungsloser
Mordgier. Als
Werwolf
wurde
er vor allem während und nach den Schrecken des 30-jährigen Krieges im Rahmen
der Hexenverfolgung zum Sündenbock für die furchtbare Lebenssituation der
Menschen gemacht.
Das Märchen von Rotkäppchen hat das
negative Image noch verfestigt. Er gilt als böse, gefräßig und hinterlistig. Auch wenn er heute unter Schutz steht, bekommt er in unseren Landen kaum eine reale Chance, in Freiheit zu überleben. Als im Frühjahr 2012 nach über 150 Jahren Abwesenheit ein einzelner Wolf im Westerwald auftauchte, dauerte sein Gastspiel nur wenige Tage. Ein Jäger verwechselte ihn nach eigenen Aussagen mit einem wildernden Hund und erschoss das unter strengem Schutz stehene Raubtier >>>
zum
Pressebericht
"In einer Zeit, in der der Mensch seine Mitmenschen unmenschlich
behandelt hat, ist es kaum verwunderlich, daß die Menschen zu glauben
begannen, Wölfe seien Mensch in Tiergestalt, oder der als Tier
verkleidete Teufel"
behauptet die Fernsehjournalistin Iris Rietdorf in einem Anfang 2007 ausgestrahlten Beitrag im 1. Programm der ARD. Für die Adeligen und Jäger sei diese Behauptung ein zweckmäßiger
Vorwand gewesen, ihrem Konkurrenten bei der Jagd den Garaus zu machen. Und
selbst heute in unserer aufgeklärten, naturwissenschaftlich
orientierten Zeit halte die moderne Filmindustrie gern am Image der
Bestie fest. Ob "American Werewolf" oder "Harry Potter" – der Wolf
komme nicht besonders gut weg.
Hier mein Buchtipp zum Thema:
Erik Zimen
Der Wolf - Verhalten, Ökologie und Mythos
Das Vermächtnis des bekannten Wolfsforschers
2003, Franck-Kosmos Verlags-GmbH & Co., Stuttgart