Im Zuge meiner umfangreichen Recherchen über die Besiedlung
des amerikanischen Nordwestens durch deutsche Auswanderer stieß ich per Zufall
auf ein altes Foto. Es zeigte eine überwiegend von Männern belebte Straße in
einem Holzfällernest namens Grand Forks im Shoshone County, Idaho. Es zählte zu den typischen „Boomtowns“,
die im Westen überall da wie Pilze aus dem Boden schosssen, wo schnelles Geld
zu machen war. Beiderseits der „Main Street“ reihten sich Saloons, Restaurants,
Spielhöllen und Herbergen dicht aneinander, oft kombiniert mit „Furnished
Rooms“, wie man vornehm die Etablissements bezeichnete, wo man gegen Bares die
Gesellschaft von Damen genießen konnte. Die Gebäude entstanden aus schnell
errichteten Bretter- und Balkenkonstruktionen, die oft einfach mitten im Wald
hochgezogen wurden. Sie trugen vielversprechende Namen wie „Grand Hotel“ oder
„Palace“, obwohl die Dächer überwiegend nur aus Zeltbahnen oder übereinander
genagelten Brettern bestanden und der hygienische Komfort lediglich aus einem
Plumpsklo hinter den Hütten bestand.
Bahnarbeiter, Holzfäller, Glücksritter und eine "Dame" posieren
für den Fotografen in der Mainstreet von Grand Forks
(Repro)
Grand Forks entstand im Jahre 1908 am Fuß der
Bittercreek-Berge in Shoshone-County im Zuge der “Pacific Extension“ der
Milwaukee Railroad (Pazifik-Erweiterung von South Dakota nach Seattle am Puget
Sund im Bundesstaat Washington). Um das benötigte Holz für Bahnschwellen,
Brücken und andere bahntechnische Anlagen möglichst schnell und preiswert zu beschaffen,
errichteten die Gesellschaften überall in den Rocky Mountains Bahnarbeiter- und
Holzfäller-Camps. Hinzu gesellten sich Sägewerke entlang der zahlreichen Bäche
und Flüsse. Über die schnell in die Wälder verlegten Gleise gelangten
Baumaterial, Menschen und Versorgungsgüter u. a. nach Grand Forks, benannt nach
der Stelle, wo sich Loop- und Cliffcreek vereinigen. Der Ort lag rund einen
Kilometer vom Loop-Canyon entfernt, wo die Bahngesellschaft ein Depot in Falcon
eingerichtet hatte. Die Bevölkerung bestand überwiegend aus Bahnarbeitern und
Holzfällern. Hinzu gesellte sich in kürzester Zeit auch allerlei zwielichtiges
Gesindel wie Diebe, Betrüger und Falschspieler.
Die Gebäude schossen wie Pilze
mitten im Wald aus dem Boden
(Repro)
John Halm, ein für die öffentliche Ordnung damals zuständiger
Ranger der Forstverwaltung im Distrikt Wallace beschrieb den Ort
folgendermaßen: „Ein Ort, der wie ein Pilz aus dem Boden geschossen ist. Straßen
gibt eigentlich nicht. Er besteht lediglich aus einem lang gestreckten viereckigen
Platz, der auf einer Seite offen ist. Entlang der drei Seiten ist er mit
Baumstämmen und darüberliegenden Brettern befestigt. Morgens ist er meistens
menschenleer, bis auf ein paar Trunkenbolde, die ihren Rausch auf den leeren
Bierfässern vor über einem Dutzend Saloons im Sitzen ausschlafen. Fast immer bieten
diese Spelunken auch Mahlzeiten an und in den Anbauten werden auch allerhand
Waren zum Verkauf angeboten. Hinter den Saloons liegen wild zerstreut im Wald
kleine Hütten oder Zelte, in denen die Bewohner der Stadt tagsüber schlafen.“
Morgens vor dem "El Rey Hotel" in der Mainstreet,
aus der noch die Baumstümpfe herausragen
(Repro)
Halm fuhr mit seiner Beschreibung fort: „Erst gegen
Abend kommt Leben auf. Überall brennen dann Petroleumlaternen, klimpern zunächst
einsame Pianos bis wenig später ein ganzes Orchester ertönt. Reichlich
geschminkte „Damen“ umlagern nun die die Bars und die Spieltische in den zahlreichen Saloons, stets in der
Erwartung, zum Essen, zu einem Drink und mehr eingeladen zu werden. Und die Gäste lassen
nicht lange auf sich warten. Die schmuddeligen Kerle mit ihren langen Haaren
und Bärten wollen nach getaner Arbeit nur noch Essen, Trinken und Zerstreuung.
Im Nu verwandelt sich der ganze Ort in einen lärmenden Hexenkessel voller
saufender, tanzender, zockender und gewalttätiger Menschen.“
Durstige Gäste in einem der 15 Saloons in der Mainstreet
(Repro)
Die Forstverwaltung erzielte mit der offiziellen
Schließung besonders übler Etablissements nur wenig nachhaltige Erfolge. Kaum hatte sie
einen Besitzer aus der Stadt verwiesen, tauchte ein neuer auf und alles wurde meistens schlimmer als zuvor. Den Titel „Übelster Ort im ganzen Westen“ trug bis
dato die nahe gelegene Stadt Taft in Montana. Dies währte allerdings nicht
lange, denn schon wenig später trug Grand Forks diese „Auszeichnung“.
Beide Städte gibt es heute nicht mehr. Der große
Waldbrand im August 1910 hat sie beide von der Bildfläche verschwinden lassen. Die
als „The Great Fire of 1910“ historische Brandkatastrophe verwüstete damals 12.000 km² Land, zerstörte eine Reihe von
Gemeinden und kostete 86 Menschen das Leben. An Taft
erinnert lediglich eine staubige Autobahnausfahrt gleichen Namens. Die letzten
Spuren von Grand Forks überwuchert heute dichtes Gestrüpp unterhalb des
beliebten Hiawatha Mountain-Bike-Trails.
Als passionierter Modell- und
Landschaftsbauer habe ich beschlossen, Grand Forks weiter leben zu lassen. In meiner Fantasie,
unterstützt durch Hunderte zeitgenössischer Fotografien und Berichte über die historische Entwicklung in den Vereinigten Staaten entstand
die Vision einer Darstellung im Modell, das Grand Forks kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs am Vorabend
der Prohibition darstellt (1918 – 1919). Der einstige Ort des Lasters hat sich
mittlerweile zu einem kleinen Städtchen mit durchaus bürgerlichen Zügen
entwickelt, nachdem in seiner Nähe Silbervorkommen entdeckt wurden. Der Ort
verfügt zu diesem Zeitpunkt über Straßen und Gehwege, elektrisches Licht und Telefon. Handel,
Handwerk und Gewerbe blühen, es gibt eine Bank, eine Schule und eine Kirche.
Einige der alten Spelunken haben sich zu veritablen Restaurants entwickelt,
wenngleich Alkohol, Glücksspiel und käufliche Liebe noch immer eine gewisse
Rolle spielen und die hölzernen Plumpsklos sind auch noch omnipräsent. Noch
immer ist die Waldbahn neben den Pferdefuhrwerken wichtigstes Transportmittel.
Mit ihr kamen auch die ersten Automobile aus Detroit in das abgelegene Tal.
Der Siegeszug des Ford T-Modells hat somit auch Grand Forks erreicht.
Die Vorbilder für meine Landschaften, Szenen, Gebäude und die Eisenbahn habe ich im Internet und in Büchern gefunden, die ich meist antiqurisch in den USA erworben habe. So bin ich auch an die wenigen authentischen Bilder aus den alten Tagen gekommen, die ich in der Regel abfotografiert und digital bearbeitet habe.
Fast sämtliche Gebäude und Landschaftsbestandteile
entstehen im Eigenbau aus Holz, Pappe, Aluminium oder Kunststoff im Maßstab 1:87.
Lediglich bei den Fenstern, Türen und Accessoires verwende ich in den U.S.A.
hergestellte Fertigprodukte aus Kunststoff oder Metall, denn so filigran lassen
sie sich im Selbstbau nicht fertigen. Bei den Fahrzeugen greife ich auf passende Bausätze
zurück, die ich allerdings genau wie alle Figuren von Hand bemale und
verfeinere. Alle Modelle erhalten am Schluss eine individuelle Patina. So
entstehen Unikate, die man so auf der ganzen Welt für Geld nicht bekommt.